Revolutionär mit Charisma. Karl Liebknecht zum 150. Geburtstag

Dr. Volker Külow

Am 13. August 1871 wurde Karl Liebknecht in der Leipziger Braustraße 11 (heute 15) als zweiter Sohn von Natalie und Wilhelm Liebknecht geboren. In mancher Hinsicht war es dem Patenkind von Marx und Engels in die Wiege gelegt, dass er sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem respektablen Rechtsanwalt, exzellenten Parlamentarier der SPD und zu einem konsequenten Gegner von Militarismus, Imperialismus und Krieg entwickeln sollte.

 

Der Weg bis dahin war aber keineswegs einfach und geradlinig. Nachdem der junge Karl Ostern 1878 eingeschult worden war, besuchte er für drei Jahre die 5. Bürgerschule und ab Ostern 1881 das städtische Nikolaigymnasium, dessen Geschichte bis 1512 zurückreichte. Das Schulgeld von 120 Mark für den frisch gebackenen Nicolaitaner aufzubringen, fiel der Familie keinesfalls leicht. Ende Juni 1881 war über Leipzig der kleine Belagerungszustand verhängt worden und Wilhelm Liebknecht und August Bebel sowie andere führende Sozialdemokraten wurden aus der Stadt ausgewiesen. Liebknecht fand in Borsdorf bei Leipzig Unterkunft und Nathalie Liebknecht bezog mit den fünf Söhnen eine kleinere Wohnung am damaligen Südplatz 11 (heute Karl-Liebknecht-Straße 69), in der die Familie bis 1890 wohnte.

Die Abschaffung des Sozialistengesetzes im gleichen Jahr fiel mit dem Ende von Karls Gymnasialzeit zusammen. Nach einem Machtwort des Vaters „Die Partei braucht Rechtsanwälte“ studierte der Sohn zunächst in Leipzig und dann in Berlin Rechtswissenschaft. Nach dem erfolgreichen Studium promovierte Karl, bestand die große Assessorenprüfung mit „cum laude“ und trat 1899 als Sozius in die Anwaltskanzlei seines Bruders Theodor ein. Schnell wurde der revolutionäre Sozialist – der seit 8. Mai 1900 mit Julia Paradies verheiratet war - ein von den Richtern gefürchteter Verteidiger; bis 1914 war er in über 200 Prozessen vor oder hinter den Gerichtsschranken zu finden.

Ab 1901 war Karl Liebknecht als frisch gewählter Abgeordneter in der Berliner Stadtverordnetenversammlung auch ein rebellischer Parlamentarier, der sich von der Klassenjustiz im Kaiserreich nicht zum Schweigen bringen ließ. Trotz seiner Verurteilung vor dem Leipziger Reichsgericht im Oktober 1907 zu 18 Monaten Festungshaft ging er unbeirrbar seinen Weg als ein führender Vertreter des linken Flügels der SPD vor dem Ersten Weltkrieg weiter.

Im Januar 1912 eroberte er in der Stichwahl den „Kaiserwahlkreis“, Potsdam hatte somit einen „zweiten Kaiser“. Der Jubel war riesengroß. Liebknechts parlamentarische Tätigkeit erhielt jetzt ungewöhnliche Dimensionen, denn er war nunmehr auf allen drei möglichen Ebenen – in der Berliner Stadtverordnetenversammlung, im preußischen Abgeordnetenhaus und im Deutschen Reichstag – Abgeordneter der Sozialdemokratischen Partei. Das forderte von ihm nach einem Urteil seiner leider 2018 verstorbenen Biografin Annelies Laschitza „ein Höchstmaß an Elan, Geist, Kraft und Verzicht auf manche Annehmlichkeit“. Liebknechts neue Frau Sophie – Julia war 1911 unerwartet nach einer Operation verstorben – und die drei Kinder Wilhelm, Robert und Vera mussten viel Verständnis und Unterstützung für den oft gehetzt wirkenden Familienvater aufbringen.

Liebknechts politisches Hauptanliegen in den Jahren 1913/1914 war die Erhaltung des Friedens und die Entlarvung jener Kräfte, die auf einen verheerenden Krieg in Europa drängten. Mit seinem Enthüllungsfeldzug gegen die Friedrich Krupp AG auf der Basis ihm zugespielter Geheiminformationen deckte er die „Pest der Korruption“ auf und sorgte im In- und Ausland für Furore. Ein Jahr lang führte er mit allem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln – internationale Zusammenarbeit, Kundgebungen, Eingaben an den Kriegsminister, Parlamentsreden, Presseartikel, Zeugenaussagen – einen entschiedenen Kampf gegen das Rüstungskapital. Auf diesem Feld übertraf er sogar das väterliche Vorbild und setzte Akzente für die parlamentarische Taktik, die bis heute für die gesellschaftliche Linke ebenso relevant sind wie sein unermüdlicher Kampf für Demokratie und Gerechtigkeit.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 kämpfte Liebknecht zusammen mit Mathilde Jacob, Leo Jogiches, Paul Levi, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Clara Zetkin u.a. zunächst in der „Gruppe Internationale“ und dann ab 1916 in der „Spartakusgruppe“ konsequent gegen den Krieg und die Burgfriedenpolitik der SPD. Bereits am 2. Dezember 1914 stimmte er überaus mutig als einziger Abgeordneter im Reichstag gegen die Gewährung neuer Kriegskredite. Prompt erhielt er wenige Wochen später den Gestellungsbefehl als Armierungssoldat und bekam nur noch bei offiziellen Reichstagssitzungen Fronturlaub. Diese Monate in unmittelbarer Nähe zur Ostfront zählten zu den deprimierendsten Zeiten seines Lebens, auch wenn ihm seine Frau Esswaren, Kerzen, Tabak, Kleidung und Leckereien schickte: „Jedes Zuchthaus wäre Erlösung“, klagte Liebknecht ihr gegenüber Ende Juli 1915 und an seine Kinder schrieb er am 14 September 1915: „Ich hoffe, Ihr werdet Euren Vater nicht verlieren, bevor Ihr flügge seid.“

Trotz dieser enormen Widrigkeiten blieb er politisch aktiv. In seiner Grußbotschaft an die Zimmerwalder Konferenz in der Schweiz postulierte er gegenüber den dort versammelten Sozialistinnen und Sozialisten „Burgkrieg, nicht Burgfriede“, was besonders Lenin gefiel. Mit Rosa Luxemburg wusste er sich eins, als sie anonym 1916 ihre ein Jahr zuvor im Gefängnis verfasste „Junius“-Broschüre veröffentlichte. Am 1. Mai 1916 wurde Liebknecht nach seinem couragierten Auftritt auf dem Potsdamer Platz („Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“) verhaftet und später „wegen versuchten Kriegsverrats in Tateinheit mit erschwertem Ungehorsam im Felde sowie wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt“ zu vier Jahren und einem Monat Zuchthaus verurteilt, die er bis zu seiner Entlassung am 23. Oktober 1918 in Luckau absaß.

Mit dem Kieler Matrosenaufstand war Anfang November die Revolution nicht mehr aufzuhalten. Der Kaiser wurde am 9. November gestürzt und Liebknecht rief am gleichen Tag gegen 16 Uhr vor dem Berliner Stadtschloss „die freie sozialistische Republik Deutschland“ aus. In den folgenden Wochen kämpfte der charismatische Rechtsanwalt unermüdlich für die soziale und politische Vertiefung der Revolution. Auf dem Gründungsparteitag der KPD zur Jahreswende 1918/1919 hielt er neben Rosa Luxemburg - ihr Verhältnis zum oft ungestümen Liebknecht war durchaus nicht immer reibungslos - das Koreferat und warb als erfahrener Parlamentarier für die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung. Doch die Delegierten entschieden sich mit 62 zu 23 Stimmen dagegen.

Nach der Niederlage der revolutionären Arbeiter in den Januarkämpfen – fälschlich oft noch immer als „Spartakusaufstand“ bezeichnet – entstand ein regelrechtes Pogromklima in Berlin. Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg mit politischer Rückendeckung des SPD-Kriegsministers Gustav Noske von rechtsradikalen Freikorpssoldaten brutal umgebracht. Über den grausamen Doppelmord und seine verheerenden Nachwirkungen urteilte Sebastian Haffner in seinem grandiosen, bis heute unübertroffenem Buch „Die verratene Revolution“ fünf Jahrzehnte nach dem damaligen Geschehen: „Der 15. Januar 1919 war ein Auftakt – der Auftakt zu tausendfachen Morden in den folgenden Monaten der Noske-Zeit, zu millionenfachen Morden in den folgenden Jahren der Hitler-Zeit. Er war das Startzeichen für alle anderen. Und gerade er ist immer noch uneingestanden, immer noch ungesühnt und immer noch unbereut. Deswegen schreit er immer noch zum deutschen Himmel. Deswegen schickt er immer noch sein sengendes Licht in die deutsche Gegenwart wie ein tödlicher Laserstrahl.“