Vom Aufschwung haben die meisten Leipziger nichts

Dr. Volker Külow, MdL / Dr. Dietmar Pellmann, MdL

Es ist Karnevalszeit, und dem Interview mit Ministerpräsident Prof. Georg Milbradt in der Wochenendausgabe der Leipziger Volkszeitung merkt man das an. Gute Stimmung verbreiten, lautet die Parole; der Katzenjammer folgt später.

Es ist Karnevalszeit, und dem Interview mit Ministerpräsident Prof. Georg Milbradt in der Wochenendausgabe der Leipziger Volkszeitung merkt man das an. Gute Stimmung verbreiten, lautet die Parole; der Katzenjammer folgt später.

Das Bejubeln der industriellen Zuwachsrate in Leipzig in den letzten beiden Jahren gleicht dem Abfeuern einer Konfettikanone - die Schnipsel sinken schnell zu Boden. Denn die Zuwachsraten stützen sich auf einen katastrophal niedrigen Ausgangswert (sonst könnten sie gar nicht so hoch sein) und sie werden drastisch sinken, weil sie nur vom Anlaufen des BMW-Werks getragen werden und weil nach Erreichen der geplanten Kapazität weitere solche Wachstumsschübe ausbleiben.

Im Übrigen sind fünf Milliarden Euro Industrieproduktion in einer Stadt mit 500.000 Einwohnern eher ein jämmerlicher Wert, denn pro Kopf lassen sich daraus gerade mal 10.000 Euro errechnen.

Verringert hat sich der Leipziger Rückstand gegenüber Dresden und Chemnitz nicht, doch das verschweigt Milbradt gern. Und um zu vermeiden, dass Leipzig vielleicht doch aufholt, plant die Staatsregierung, den Regierungsbezirk durch die Ausgliederung des Kreises Döbeln weiter zu schwächen.

Die sächsische Staatsregierung hat in Leipzig und in Dresden ganz unterschiedliche Gebiete mit öffentlicher Förderung bedacht; hier war es die (Verkehrs-)Infrastruktur, dort die industrienahe Forschung. Niemand bezweifelt den Wert guter Verkehrswege, doch Nachhaltigkeit kann nur entstehen, wo Investoren Firmen vorfinden, die technologisch passfähig sind, und solche fortschrittliche Passfähigkeit bzw. Vernetzung beruht immer noch auf industrienaher Forschung. Dresden hat die stabilere, nachhaltigere Entwicklungsbasis; in Leipzig ist die Gefahr groß, dass potenzielle Investoren auf Straße und Schiene an der Stadt vorbeirauschen.

Das Argument, in Sachsen sei eine Zahl von Arbeitsplätzen wie im Westen erreicht, verdirbt den Spaß und grenzt an böswillige Verdummung. Abgesehen davon, dass noch lange nicht so viele Arbeitsplätze wie in vergleichbaren West-Ländern erreicht sind, wäre selbst diese Zahl allein noch kein Erfolgskriterium. Denn entscheidend sind Struktur und Qualität der Arbeitsplätze, also Wertschöpfung und Steuerkraft. Die Beschäftigung im Osten leidet an den verlängerten Werkbänken, an der hohen Zahl von Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich (fast vierzig Prozent Leiharbeiter bei BMW) und vor allem am vergleichsweise geringen Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz - von dort kommt die Produktivitätslücke. Wäre es anders, müsste mit einer ähnlichen Zahl von Arbeitsplätzen wie in vergleichbaren West-Ländern der selbsttragende Aufschwung der hiesigen Wirtschaft in Sicht sein. Doch er ist es nach fast zwanzig Jahren des wirtschaftlichen Umbaus an keiner Stelle.

Verdächtig an dem oberflächlichen Stimmungs-Interview ist, dass Milbradt den Sozialbereich komplett ausspart. Zu gern hätten die Leser gewusst, ob der Ministerpräsident meint, dass von dem bejubelten Aufschwung etwas bei den Leipzigern "ankommt." Milbradt hätte den Wirtschaftsbericht der Stadt genauer lesen sollen. Dort steht, dass die Einkommen in Leipzig gesunken sind. Er hätte auch den Statistischen Quartalsbericht der Stadt Leipzig zu Rate ziehen können. Er weist nach, dass die Haushaltseinkommen wieder dort gelandet sind, wo sie schon 1991 waren. Und auf den gerechten Soziallastenausgleich wegen des hohen Standes der Arbeitslosigkeit wartet Leipzig seit Jahren vergeblich. 

Fazit des gesamten Interviews: Als Büttenrede deplatziert und ohne jegliche Pointe, als politisches Interview unakzeptabel.