Interview zur Wahl der Vorsitzenden

„Wir möchten eine starke Mitgliederpartei in Leipzig“

In den letzten Tagen und Wochen haben uns – Nina Treu und Johannes Schmidt – zahlreiche Genossinnen und Genossen viele Fragen zu unseren Kandidaturen für den Vorsitz bzw. Co-Vorsitz im Stadtvorstand gestellt. Dabei ging es nicht nur um unsere inhaltlichen Ideen und Ziele, sondern auch häufig um ein mögliches Miteinander, sollte der Stadtparteitag am 28. September beschließen, von einem Einzelvorsitz auf eine Doppelspitze zu wechseln. Ebenso möchten wir hiermit Gerüchten und Spekulationen vorbeugen und für Klarheit sorgen. Dazu haben wir William Rambow als Landessprecher und neutrale Instanz gebeten, uns recht spontan kurzfristig zu interviewen.

Terminhinweis: Am Mittwoch, den 25. September um 19:00 Uhr, lädt der SBV Südwest ins INTERIM (Demmeringstraße 32) ein, um uns (besser) kennenzulernen. Wir stellen uns in einem Gespräch vor und stehen anschließend für eure Fragen zur Verfügung. Das Ganze wird auch online übertragen: https://youtube.com/live/vt5MAMGyEgQ?feature=share.

 

William Rambow: Hallo ihr zwei! Schön, dass ihr dabei seid. Wir kennen uns schon, das geht aber sicher nicht allen Mitgliedern so. Deswegen die Frage: Wer seid ihr und was macht ihr gerade?

Nina Treu: Hallo, Ich bin Nina. 40 Jahre alt, organisiert im Leipziger Westen für die Linke. Ich bin gerade erwerbslos und widme dieses Jahr dem ehrenamtlichen Engagement für Die Linke. Ich bin ansonsten Politikwissenschaftlerin, NGO-Gründerin, war mal Geschäftsführerin und habe in dieser Partei schon verschiedene Dinge gemacht. Außerdem bin ich passionierte Radlerin und Tänzerin.

Johannes Schmidt: Ich bin der Hannes, 33 Jahre und seit 2017 bei der Linken in Leipzig-Mitte organisiert - damals ist die AfD erstmals in den Bundestag eingezogen. Ich habe eigentlich Mathematik- und Informatiklehramt studiert, bin aber 2017 ebenso bei der europäischen Energiebörse im IT-Bereich gelandet. Die letzten vier Jahre war ich bereits stellvertretender Vorsitzender im Stadtvorstand. Daneben bin ich aktiv in der AG Soziales, wo ich mich kommunal mit sozialer Politik beschäftige. Sonst bin ich passend zum Beruf an Digitalisierung interessiert.

 

William: Nina, vielleicht magst du noch ergänzen: Was hat dich damals dazu gebracht, der Linken beizutreten?

Nina: Also ich bin schon seit der Gründung der Linken sehr nah. Ich habe mir in Heidelberg damals beim Studieren schon die WASG angeschaut. Ich muss aber gestehen, mich hat damals das Umfeld abgeschreckt. Das waren lauter biertrinkende Männer, die sich in einem Restaurant getroffen haben, wo man konsumieren musste. 2018 bin ich in Die Linke eingetreten. Da war ich auf der linken Woche der Zukunft in Berlin und hatte das Gefühl: "Wow, hier werden ein paar Themen, die für mich so zentral sind – unter anderem Feminismus und Klima – auf der Höhe der Zeit verhandelt.“ Und habe dann mit einem Genossen darüber gesprochen, was ich eigentlich so machen könnte. Er meinte: "Top, ich such schon lange jemanden, der mit mir zusammen eine Bundesarbeitsgruppe zu Klima gründen würde.“ Er hatte die Kontakte, ich hatte Zeit, wir können beide organisieren. Und dann hatte ich eben einen Grund, dass ich jetzt eintrete und wirklich aktiv werde und nicht nur so eintrete und so mit gucke. Also ich bin seit 2018 mit einem Jahr beruflich notwendiger Pause Mitglied.

 

William: Lasst uns zur nächsten Frage gehen: Was zeichnet euch aus? Vielleicht gar nicht so politisch, sondern menschlich. Im Bewerbungsgespräch würde man fragen: Was sind eure drei besten Eigenschaften?

Johannes: Ich glaube, ich habe eine sehr hohe Frustrationstoleranz und kann daher in konflikthaften Situationen vergleichsweise gelassen und unaufgeregt damit umgehen. Es ist eine Eigenschaft, die in unserer Partei gut zur Anwendung kommen kann. Denn auch hier gibt es viele Konfliktfelder und da komme ich zu einem weiteren Punkt: Ich versuche meistens zu erfragen oder zu verstehen, warum Leute so reagieren, wie sie reagieren. Mein Denkansatz ist: Was müsste eigentlich gerade bei mir im Leben passieren oder was müsste bei mir vorgefallen sein, dass ich gerade in der Situation so reagieren würde? Ich denke, so kann man viel Verständnis für Leute gewinnen. Und als letzter Punkt: Wenn ich für Themen brenne und begeistert bin, dann ziehe ich sie durch und investiere recht viel Zeit. Da bin ich auch teilweise sehr unvernünftig und opfere häufiger meinen Urlaub oder etwas Schlaf, um Parteiarbeit zu erledigen. Das muss man auch ein Stück reduzieren können.

Nina: Alles top Eigenschaften. Ich bin eine sehr konstruktive Person. Ich denke gerne nach vorne. Ungern, was lief jetzt alles falsch et cetera, sondern eher: Wie kommen wir da raus? Wie können wir gemeinsam nach vorne gucken? Ich bin sehr ehrlich. Es ist schwer, mir nicht anzumerken, was meine Meinung ist. Im Negativen, wie im Positiven. Leute wissen, woran sie bei mir sind. Und deswegen kann man mit mir auch Sachen ausdiskutieren und weiß, dass was rauskommt, werde ich auch mittragen. Und das dritte ist, ich bin sehr pragmatisch. Ich verkämpfe mich ungern bei Dingen, sondern gucke, was wir an Mitteln und was für Möglichkeiten haben. Und wie wir mit den Menschen in der Situation, in der wir gerade sind, daraus das Beste machen können.

 

Schnellfeuerfragen - Teil 1

William: Ich habe vor Jahren mal gehört, dass es eine Umfrage gab in der Partei und dass angeblich Rotwein das meistgetrunkene Getränk unter den Genossinnen und Genossen ist. Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht mehr. Aber deswegen komme ich auf die Frage: Seid ihr eher Wein oder Biertrinker?

Johannes: Ganz klar Bier.

Nina: Ich habe die Absurdität in meinem Leben, dass ich eigentlich eher eine Weintrinkerin bin und angefangen habe, mehr Bier zu trinken, als ich meinen französischen Mann in Frankreich kennengelernt habe. Hannes und ich hatten vorhin den witzigen Unterschied, dass ich alkoholfreies Weißbier gar nicht mag. Hannes es aber gerne. Und dafür magst du kein alkoholfreies Pils, ich aber sehr gerne.

 

William: Schön. Zu den Klassikern der Schnellfeuerfragen gehört ja auch Auto, Fahrrad oder ÖPNV. Auto kann man wahrscheinlich bei einer Klimagerechtigkeitspartei ausschließen. Fahrrad oder ÖPNV?

Johannes: Fahrrad.

William: Oder wenn Auto eine Option wäre?

Johannes: Bei mir Fahrrad vor ÖPNV.

Nina: Meine auch.

William: Also Radfahrerfraktion.

Nina: Aber wir sind beide auch auf dem Land aufgewachsen. Also ich bin in meiner Jugend super viel und gern Auto gefahren. Ich verstehe auch, warum Leute gern Auto fahren. Es ist halt bloß einfach extrem schädlich, teuer, nervig in der Stadt und so.

 

William: Ihr sitzt jetzt beide hier zusammen, wollt beide Stadtvorsitzende werden. Da drängt sich doch die Frage auf: Seid ihr ein Team? Wie kandidiert ihr? Wie versteht ihr euch? Falls ihr noch kein Team seid: Würdet ihr auch eins bilden?

Johannes: Derzeit gibt es noch keine Doppelspitze, es wäre ein neues „Projekt“. Das wird jetzt zum Parteitag im September erstmals zur Diskussion stehen bzw. abgestimmt werden. Persönlich gehe ich mit Blick auf die Entwicklung der Partei davon aus, dass sich viele das Modell einer Doppelspitze wünschen. Wir haben es auf Landes- und Bundesebene – und in Städten wie Dresden gibt es das tatsächlich auch schon bei der Linken. Wir treten jedoch nicht als Duo an. Es besteht gerade die ungünstige Situation, dass wir die Entscheidungen zur Doppelspitze leider parallel zur Besetzung des Vorsitzes treffen müssen. Das muss der Stadtparteitag jetzt souverän entscheiden. Es gibt aber außerdem auch keine konkurrierenden Duos, die gegeneinander antreten. Nina und ich haben mehrfach über das Thema gesprochen und auch wenn wir jetzt nicht als Duo im Vorfeld antreten: Sobald das Wahlergebnis da ist, würden wir auf jeden Fall als Team auftreten. Und ich glaube, das ist das Entscheidende.

Nina: Hannes hat schon lange gesagt, dass er Stadtvorsitzender werden würde. Deswegen ist für mich auch das Modell der Co-Vorsitzenden das, wo wir dann gemeinsam ins Spiel kommen. Ich habe mich dezidiert für den Co-Stadtvorsitz beworben und nicht für den Stadtvorsitz. Ich bin total der Teamplayer. Also ich glaube, dass es besser ist, wenn es zwei Leute machen. Einfach weil die sich ausgleichen, inspirieren, vertreten und inhaltlich bereichern können. Es ist einfach besser mit einer Doppelspitze. Auch, auf der Höhe der Zeit ist, gemeinsam zu führen. Und aus einer feministischen Perspektive finde ich es natürlich auch gut, wenn unsere Partei – die schon sehr lange von einem Mann an der Spitze geführt wird –, eine Spitze hat, die geschlechtlich aufgeteilt ist.

 

William: Du hast jetzt die nächste Frage ein bisschen vorweggenommen. Du hast ein paar Vorteile von der Doppelspitze genannt. Gibt es aus deiner Sicht auch Nachteile bei einer Doppelspitze?

Nina: Entscheidend ist, dass eine Doppelspitze sich gut versteht und weiß, dass sie gemeinsam arbeiten kann. Wir haben uns ausgetauscht: Was haben wir für Vorstellungen und verstehen wir uns gut? Wir kennen uns einfach seit Anfang 2021 im Rahmen der Bundestagswahl. Wir haben zwar noch nicht eng zusammengearbeitet, aber die Male, die wir zusammengearbeitet haben, waren sehr kooperativ. Wir sind beide sehr zuverlässige und verbindliche Typen. Deswegen können wir es uns gut gemeinsam vorstellen. Ich glaube, wenn diese Personen sich nicht verstehen, kann das auch behindernd sein. Die Gefahr sehe ich in unserem Fall aber nicht.

Johannes: Damit eine Doppelspitze funktioniert, existieren einfach Grundvoraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit man gut zusammenarbeitet und Konflikte kooperativ auflöst. Das zu erfüllen, wäre aus meiner Sicht dann der Wunsch und die Erwartungshaltung des Stadtverbands an die neuen Vorsitzenden, wenn sich der Parteitag dafür entscheidet. Ich glaube, dem können wir auch gut gerecht werden.

 

Schnellfeuerfragen - Teil 2

William: Schlaft ihr mit Fenster offen oder Fenster zu?

Nina: Offen.

Johannes: Offen.

 

William: Katze oder Hund?

Johannes: Katze.

Nina: Eindeutig Katze.

 

William: Blumenkohl? Ja oder nein? Die Frage muss natürlich noch sein. Rosenkohl, meine ich.

Johannes: Ja.

Nina: Ja, aber Blumenkohl? Nein.

Johannes: Auch Ja.

Nina: Oh, okay.

 

William: Ihr habt ja wahrscheinlich Ideen für die Partei, wenn ihr Vorsitzende werden wollt. Wir haben jetzt gerade 2000 Mitglieder geknackt. Was hat das für eine Bedeutung für die Partei? Müssen wir darauf reagieren? Oder können wir uns freuen und so weitermachen?

Johannes: Man kann in Leipzig generell von Glück reden, denn viele Neumitglieder sind gar nichts Ungewohntes für uns. Wir hatten tatsächlich immer schon nach Wahlen oder politischen Ereignissen größere Eintrittswellen. Auch der letzte Wahlkampf speziell um Direktmandate hat viele Leute motiviert. Bei den Eintrittswellen der letzten Jahre müssen wir uns jedoch selbstkritisch fragen: Haben wir unsere Potenziale ausgeschöpft? Ich würde tatsächlich sagen: noch nicht. Wenn man die Statistiken kennt, dann sieht man: Gerade jüngere Menschen treten ein, traten aber leider in den ersten sechs bis zwölf Monaten sehr häufig wieder aus. Viele kommen zu uns, um politisch aktiv zu werden. Wir haben es in den letzten Jahren aber leider nicht geschafft, wirklich einen großen Anteil davon auch zu aktivieren. In puncto Mitgliederarbeit müssen wir schon einen Schritt vorankommen. Es muss aber klar sein, das hängt nicht nur am Stadtvorstand, sondern an vielen Stellen – siehe z. B. unser Tandemprogramm bzgl. Mitwirkung bei der Umsetzung. Aber: Wenn Leute mit einem starken Fokus auf Mitgliederentwicklung und Mitgliederarbeit dazukommen, kann man diese Themenbereiche stärken und Mitgliederintegration neu denken. Wir müssen auch schauen, wie wir eigentlich Leute mittelfristig aufbauen, sodass sie auch wichtige Funktionen und Aufgaben bei uns übernehmen können. Aktuell lastet viel administrative Arbeit auf wenigen Schultern. Das sorgt zwar dafür, dass manche Prozesse sehr etabliert sind und sie deswegen auch gut funktionieren. Problem ist aber: Man ist sehr anfällig, falls einzelne Personen ausfallen und auch Zeit für Neues fehlt. Wir sehen auch aktuell, wie schwer es uns teilweise fällt, neue Direktkandidierende zu finden für Landtags- und Bundestagswahlen – trotz 2.000 Mitgliedern in Leipzig.

Nina: Wir können definitiv sagen, dass die Mitgliederarbeit uns beiden ein Herzensthema ist, dass wir da die Stärke der Partei sehen und auch ein ganz großes Potenzial, was es zu heben gilt. Ich kann da vielleicht noch ein paar Anekdoten anschließen. Also ich habe ja 2021 einen sehr engagierten Wahlkampf für die Bundestagswahl geführt und da auch viel mit Methoden gearbeitet, die ich aus aktivistischen und NGO-Zusammenhängen kenne, wo es viel darum ging, einfach mal nicht nur im Plenum zu sitzen, sondern Kartenarbeit zu machen oder Aufstellungen im Raum, interaktive Methoden. Und die wurden in dem Wahlkampfteam oft Ninas Methoden genannt. Sprich: Leute kennen diese so schlecht, dass sie sie mir persönlich zuordnen. Und die kamen aber sehr gut an. Ich glaube, da liegt viel Potenzial drin, dass man versucht, für unterschiedliche Zusammenhänge unterschiedliche Methoden zu benutzen. Das andere ist auch, dass wir es schaffen müssen, dass Menschen, die voll im Berufsleben stecken, anderes Engagement haben, Kinder haben, viele Sorgen, besondere Situationen oder sonst was in ihrem Leben die Möglichkeit haben, sich die ein oder zwei Stunden in der Woche oder im Monat zu engagieren. Und dass es eben nicht sein muss, dass sie erstmal auf zehn Plena oder zehn Gremiensitzungen gehen, um da ihre Aufgaben abzuholen. Da hatten wir zum Beispiel auch im Landtagswahlkampf ein Beispiel, der gesagt hat: Hey, super, die Tabelle, die ihr da hattet, da konnte ich mich dann für zwei Stunden zum Stecken oder zwei Stunden Haustürwahlkampf eintragen und das war okay. Also den Leuten auch das Bild geben: Es gibt ein ganz breites Spektrum, auf dem sie aktiv sein können.

 

William: Man kann das Amt des Stadtvorsitzenden bzw. der Stadtvorsitzenden unterschiedlich ausüben. Ich glaube, es gibt Vorsitzende, die sehr prominent sind, sozusagen, was thematische Öffentlichkeitsarbeit, also auch Auftreten gegenüber der Presse ist. Es gibt Vorsitzende, die eher in die Partei reinarbeiten. Wie würdet ihr das Rollenverständnis als Stadtvorsitzende sehen?

Nina: Ich würde als erstes sagen, dass der Stadtvorstand und als Teil davon der Stadtvorsitz die Integrationsarbeit in der Stadtpartei machen sollte. Das sollte der Ort sein, wo Ideen, Konzepte, Austausch zusammenkommen und gemeinsam nach vorne gedacht wird. Das ist aktuell nicht der Fall. Die stärksten Organe in der Stadt sind aktuell gerade die Abgeordnetenbüros und dass die auch zum großen Teil das machen, was sie für richtig halten. Das sind sehr viele gute Sachen dabei, die aber oft vielstimmig ist. Wir würden uns beide wünschen, dass die Debatten stärker auch im Stadtvorstand stattfinden. Wir beide bringen unterschiedliche Erfahrungen, Arbeitsweisen und Hintergründe mit und können sehr gut integrierend wirken. Ich glaube, dass es auch sinnvoll ist, dass wir als Stadtparteispitze auch nach außen wirken. Da haben wir zunächst Stadtratsmitglieder, die dezidiert zu Themen Stellung nehmen sollen. Natürlich können wir auch als Stadtpartei auf Fragen Bezug nehmen, dazu gibt es Presseanfragen, Einladungen für die Öffentlichkeit etc. Ich glaube, in dieser Funktion sollten wir auch schauen, dass die Stadtpartei sich in einem breiteren linken gesamtgesellschaftlichen Gefüge positioniert, dass wir auch Kontakt halten in unterschiedliche andere Spektren. Da bringe ich auch ein breites Netzwerk mit, was es gilt zu pflegen, um einfach linke Politik stark zu machen.

Johannes: Wir haben verschiedene Zugänge zur Politik, auch wie wir uns der Linken genähert haben. Nina kommt aus dem Bewegungsumfeld. Ich bin zwar in Leipzig geboren, aber außerhalb aufgewachsen, im heutigen Landkreis Leipzig. So hatte ich vor der Linken keinen Bezug zu politischen Gruppen – aber stets zu alltäglichen Problemlagen und Sorgen der Menschen auch im ländlichen Raum. Zum Ende meines Studiums bin ich so ohne große „Vorprägung“ zur Linken dazugestoßen. Nina hat den Vorteil, dass sie bspw. durch die Bundestagswahl, die Arbeit im Konzeptwerk Neue Ökonomie schon etwas Bekanntheit erlangt hat. Ich dagegen werde der Stadtgesellschaft noch eher unbekannt sein. Ich denke, in der Partei selbst ist es etwas umgekehrt, da ich in den letzten Jahren durch viele unserer Strukturen im Stadtverband „gereist“ bin, um mit den Genoss*innen in Kontakt zu kommen. Wir müssen es nun schaffen, dass der Vorstand ein strategisches und koordinierendes Zentrum wird. Das sollte die Rolle von uns sein, gerade da wir starke Abgeordnetenbüros haben. Wenn wir schauen, was die inneren Konflikte der Partei sind, dann sehen wir, dass viele dieser Problemlagen auch in Leipzig bestehen. Wir können uns diese aber nicht mehr leisten. Wir hatten zuletzt 4,5 % in Sachsen geholt. Die Ergebnisse der Landtagswahl in Leipzig waren zwar gut, wir machen hier ja gute Arbeit – unsere Gesamtpartei ist trotzdem in einem desolaten Zustand. Was wir aber leisten könnten, ist: Signalwirkung. Wir haben auch hier etablierte Strukturen mit den bekannten Konfliktverhältnissen und wenn wir es hier in Leipzig schaffen, diese zusammenzuführen, dann ist es auch woanders machbar. 

Nina: Gerade muss man eigentlich, um wirklich aktiv zu werden, in den Wahlkampf einsteigen und in einen Abgeordneten-Dunstkreis, zugespitzt formuliert. Und unser Ziel wäre, dass Leute auch jenseits dessen ihren Platz in der Partei finden. Dafür haben wir ein dankbares Jahr, weil wir nächstes Jahr den Bundestagswahlkampf haben. Den haben wir ja auch letztes Mal schon sehr gut geführt, dass man da zusammen aufbricht und mit einer Stimme spricht, wie du es gesagt hast.

 

William: Wie seht ihr das Verhältnis der Partei zu ihren Mandatsträgerinnen? Soll die Partei da die klare Linie vorgeben? Ist das der Stadtvorstand, der der Stadtratsfraktion sagt: Das sind die strategischen Leitlinien?

Johannes: Grundsätzlich bin ich ein Freund davon, z. B. Ämter und Mandate möglichst getrennt zu halten. Das ist für mich persönlich wichtig, um Interessenskonflikte zu minimieren. Was ich nicht sagen würde, ist, dass der Stadtvorstand direkte „Ansagen“ gegenüber der Fraktion oder den Abgeordneten machen sollte, da auch sie gewählte Personen sind und eine gewisse Eigenständigkeit verdienen - nicht nur rechtlich. Aber: Mandatsträger*innen egal ob im Stadtrat, im Landtag oder Bundestag, sie verpflichten sich durch ihre Aufstellung, unser Parteiprogramm und insbesondere das jeweilige Wahlprogramm zu vertreten. Und ich denke schon, dass wir als Gesamtvorstand gerade auf Stadtebene da einen Blick darauf haben müssen, dass bzgl. Punkten, die wir auf Parteitagen gemeinsam vereinbaren, dann auch die Mandatsträger*innen entsprechend agieren. Wir müssen aktive Kommunikationskanäle in diese Richtung aufbauen. Ich glaube, das hat in den letzten Jahren ein bisschen gefehlt, es ist leider auch während Corona Stück für Stück zurückgegangen. Ich glaube, zu den Landtags- und Bundestagsabgeordneten gab es so etwas nie formal gefasst, wenn nicht gerade zufällig Leute im Vorstand saßen, die sowieso sehr nah an Büros dran waren oder dort angestellt. Das sehe ich schon als ein Problem. Was wir derzeit z.B. als Beratung der Ortsvorsitzenden und IGs/AGs nutzen, sollten wir vielleicht neu denken. Es ist aktuell noch kein Instrument, das uns als Stadtverband hilft, wirklich gemeinsam politische Ideen umzusetzen. Wir müssen aber in solchen Strukturen Verbindlichkeit herstellen, dass man dann Vorhaben gemeinsam umsetzt. Es gab in der Vergangenheit z. B. wenige größere Veranstaltung zu Themen, die in der Ausrichtung der Partei etwas „strittiger“ sind. Zum Beispiel das Thema Krieg und Frieden zum Weltfriedenstag bzw. Ostern oder die Organisation zum CSD sind klassische Beispiele. Man sieht, dass es oft immer nur von einem Teil organisiert wird. Wir müssen uns aber in eine Richtung hin entwickeln, dass wir all diese größeren Sachen gemeinsam umsetzen. Und ich glaube, da sind gerade außenpolitische ähnlich wie identitätspolitische Fragen gute Beispiel, wo wir beweisen müssen, dass wir nicht nur symbolisch sagen, wir führen die Leute zusammen. Wir müssen es auch hinbekommen, dass z.B. unsere Abgeordneten und Strukturen gemeinsam dazu aufrufen, da sind und zusammen solche Vorhaben mittragen, auch wenn es vielleicht manchmal nicht 100 % inhaltliche Übereinstimmung gibt.

Nina: Es geht mehr um Kommunikation. Es geht gar nicht so sehr darum, wer wem Ansagen macht, sondern einfach, dass man Sachen miteinander verbindet. Mein Ansatz wäre, dass man sich gemeinsam auf Sachen einigt und dann wir da hinterher sind, dass die auch eingehalten werden. Nicht wir überlegen es uns, sondern wir erarbeiten gemeinsam. Es gibt ein paar Fragen, wo wir einfach auch Debattenräume brauchen, die es auch so in der Stadt einfach nicht gab und wo wir uns dann gemeinsam auf was einigen müssen, aber wo wir auch den Raum geben müssen für Austausch, weil der fehlt vielen Leuten. Ich glaube, das wird eine spannende Frage in einer längeren Amtszeit von uns. Was man da auch als erstes setzt. Und da gibt es gerade insgesamt ein Ringen in der Linken. Stellt man die Fragen nach vorne, wo wir gerade eher Kontroversen haben oder stellen wir uns eher mal die Frage, wo wir keine Kontroversen haben, weil wir so oft zerstritten wirken.

 

Schnellfeuerfragen - Teil 3

William: Habt ihr einen Kleingarten? Ja oder nein?

Johannes: Nein,

Nina: Nein. Keine Zeit.

 

William: Da habt ihr was mit dem amtierenden Vorsitzenden gemein. Lieber Stadtparteitag oder Kneipenwahlkampf?

Johannes: Ich würde sagen Stadtparteitag.

Nina: Ich auch. Also ich mag am Kneipenwahlkampf nicht, dass ich mit Menschen in angetrunkenem Zustand nicht so weiß, auf welches Gesprächsniveau man sich so gerade einlässt und dass man irgendwie lustig sein soll, aber eigentlich was Ernstes verkauft. Das ist echt nicht so mein Format, lieber Haustür, lieber Infostand...

 

William: Kneipenrunde mit der Basisgruppe wäre vielleicht eine andere Sache.

Nina: Ja, genau.

William: Dann lieber Kneipenrunde statt Stadtparteitag.

Nina: Kneipenrunde kann man jede Woche machen, Stadtparteitag nicht. Daher finde ich es ein ganz anderes Level. Aber zum Beispiel lieber Stadtparteitag als Fußballspiel.

 

William: Auch wenn Ihr natürlich als Stadtvorsitzende im Zweifel die ganze Bandbreite bespielt: Bringt ihr Themen mit, für die ihr selber thematisch besonders brennt?

Nina: Ich glaube nicht, dass es die Rolle vom Stadtvorsitzenden ist, sich mit bestimmten Themen zu profilieren, sondern eher die Partei zusammenzuführen. Es ist kein großes Geheimnis, dass ich für einen sozialökologischen Umbau brenne. Egal, was wir zukünftig tun werden, können wir diese Frage nicht außer Acht lassen. Gleichzeitig ist das nicht das Thema, das Die Linke in Leipzig besonders groß machen sollte. Worüber Johannes und ich auch gesprochen haben, sind die klassischen Themen, die wir als Linke in jedem Wahlkampf nach vorne bringen. Also dass wir die Wohnungsfrage zentral nach vorne stellen und da eben nicht nur auf Marktlösungen setzen, sondern auch ganz klar Eigentumsfragen stellen und auch Lösungen vorschlagen, die eben gerade die, die am wenigsten haben, am stärksten schützen. Dass wir alle Fragen aus einer Gerechtigkeitsperspektive beleuchten und dabei auch klar unser Markenzeichen setzen. In der Stadtpartei gibt es viele Menschen, die Friedensfrage sehr umtreibt, aber generationell sehr unterschiedlich. Also auch die Solidarität mit bestimmten Kriegsparteien in unterschiedliche Richtungen geht. Dass man da einfach einen Austausch braucht und was man sich dann einigt. Wir sollten einen Fokus schaffen. Dass man auch nicht so einen breiten Blumenstrauß die ganze Zeit bedienen muss, sondern weiß okay, das sind jetzt ein paar Themen, darauf fokussiert sich Die Linke Leipzig.

Johannes: Daran würde ich anschließen. Gerade bei diesen inhaltlich großen Fragen wie Außenpolitik laufen die Entscheidungen nicht hier vor Ort. Das sind Themen, die zu Recht auch ein Bundesparteitag entscheidet oder ein Bundesvorstand mit ganz anderen Ressourcenlage, wo eine Bundesgeschäftsstelle an der Umsetzung arbeiten kann. Was aber schon unsere Aufgabe ist: Wir müssen aufhören, uns bei den Konfliktfeldern intern in der Debatte wegzuducken. Wir müssen dazu Diskursräume schaffen, um Verständnis für die verschiedenen Positionen aufzubauen. Dabei fällt häufig sehr stark auf, wie groß eigentlich das Einende und wie klein das Trennende bei Vielem ist, wenn man mal auf die Gesamtgesellschaft oder gerade auch auf alle anderen Parteien blickt. Selbst bei so kritischen Themen wie Außenpolitik, Krieg und Frieden. Ich glaube, wir sind uns ja sehr einig, dass zum Beispiel eine Rückkehr zum Grundwehrdienst oder dass Aufrüstung und Militarisierung auch aus Gründen z. B. von Nachhaltigkeit und Freiheitsrechten keine guten Ideen sind.
Wir müssen ebenso darüber nachdenken, welche Rolle wir als Linke in der Gesellschaft spielen wollen. Wir bereits erwähnt, bin ich in der AG Soziales aktiv. Wir sind Teil von „Die Linke hilft“. Daher möchte ich z.B. Sozialberatungen weiter vor Ort aufbauen, ausbauen und überlegen, wie man auch Sozialfonds etc. einrichten kann, um Menschen in Notlagen wirklich aktiv zu helfen. Auch unser Stadtrat hat bereits Anträge zu Heizkostenfonds o. Ä. eingebracht, die aber leider nicht durchgekommen sind. Diesen sozialpolitischen Aspekt, womit wir konkret Menschen vor Ort helfen könnten, das würde ich gern mehr in den Vordergrund rücken.

Nina: Ich schließe auch noch an ein Thema an, was ja die Bundespartei bewegt und auch unserer Stadtpartei, nämlich die Abgabe von Abgeordneten. Da teilen wir auch den neuen Ansatz, dass es einfach eine klare Deckelung geben sollte und darüber dieses Gehalt an die Partei, an Infrastruktur, an soziale Projekte, an Fonds umverteilt wird. Das wurde ja auch in diesem Landtagswahlkampf jetzt größer. Und es freut mich auch, wenn es noch mal deutlich wird, wie wir als Partei nicht nur reden, sondern auch solidarisch handeln.

 

William:  Gibt es noch irgendwelche Punkte gibt, die wir jetzt verpasst haben?

Nina: Ja, die Verankerung von der Linken Leipzig in der Linken Sachsen. Wir brauchen einen strukturellen Austausch darüber, wie die Ressourcen und die Menschen, die hier noch viel vorhanden sind, auch brauchbar gemacht werden können für den Rest der Partei. Dafür müssen wir in guten Austausch gehen mit dem ländlichen Raum, das müsste auch mit einer Parteireform in Sachsen einhergehen.

Johannes: Wir sollten eine Art revolutionäre Freundlichkeit nach außen und innen entwickeln. Wir müssen da wirklich ein bisschen selbstkritischer werden, gerade wenn es darum geht, in dem Personenkreis, wo wir auch aktiv sind. Alle, die bei uns ein paar Jahre dabei sind, die wissen, wie manchmal Leute übereinander reden und wie unangemessen das auch sein kann. Sowas spricht sich nicht nur rum, das wird auch teilweise gegen andere öffentlich oder parteiöffentlich gerichtet. Und gerade wenn das Ziel ist, eine Mitgliederpartei zu entwickeln, ist es tatsächlich Gift. Das müssen wir sehr konkret ansprechen. Da liegt tatsächlich auch eine große Chance, auf Strukturen einzuwirken, weil wir beide glücklicherweise auf verschiedene Strukturen ein bisschen mehr Einfluss haben, die sich konträr gegenüberstehen, wo solche Problemlagen bekannt sind. Und ich hoffe, wir haben da von mehreren Seiten das Vertrauen der Leute und können wohlwollend diese Themen ansprechen und für eine Änderung sorgen. Alle Ziele, die wir uns stecken, gerade auch wieder landes- und bundesweit eine Rolle spielen zu wollen, setzen mindestens voraus, dass wir intern einen guten solidarischen Umgang entwickeln. Sonst nimmt uns das die Bevölkerung auch weiterhin nicht ab, dass wir für solidarischere Verhältnisse kämpfen.

Nina: Das ist auch toll, weil jetzt hast du zum Abschluss nochmal als Argument genannt, warum diese Stadtpartei uns als Doppelspitze braucht.

 

William: Lass uns noch mal wiederholen, was er gesagt hat, sozusagen. Also was ist das Argument?

Nina: Das Argument ist, dass wir mit unterschiedlichen Teilen der Partei in der Vergangenheit zusammengearbeitet haben und da unterschiedlich hohes Vertrauen genießen, bei der Stadtpartei insgesamt aber anerkannt sind. Und dass wir auch darauf einwirken können, dass Leute konstruktiver zusammenarbeiten und ein netterer Ton herrscht. Ich fand das auch mit der revolutionären Freundlichkeit gut. Das sind wir beide auf jeden Fall: freundlich.

 

William: Ich finde, das ist ein fantastischer Begriff mit der revolutionären Freundlichkeit, ehrlich gesagt. Wir sollen ja nicht nur nett sein. Wir sind ja auch scharf in der Kritik am politischen Gegner, aber trotzdem dabei immer offen und aufgeschlossen. Vielleicht noch abschließend eine Schnellfeuerfrage: Eine Eigenschaft, die ihr am jeweils anderen schätzt.

Johannes: Was ich am besten finde, tatsächlich, merkt man es auch jetzt im Umgang untereinander. Nina ist direkt auf mich zugekommen und hat mich persönlich angesprochen, ob ich mir einen Co-Vorsitz vorstellen könnte. Ich glaube, es ist eine wichtige Eigenschaft bei Ideen, wo es Abhängigkeiten zu anderen Personen gibt, man dann als erstes auf diese Personen zugeht. Ich weiß, das erfordert auch ein bisschen Mut.

Nina:  Ich finde dich sehr verbindlich und das schätze ich sehr. Und ich glaube, davon brauchen wir mehr in der Partei.

 

Schnellfeuerfragen - Teil 4

William: Ja, vielleicht das noch als abschließende Frage: Lieblingssport?

Nina: Kurz checken, wie aufmerksam ihr seid, habe ich vorher schon gesagt.

William: Dein Lieblingssport?

Johannes: Bei Nina - Tanzen oder Radfahren.

William: Achso, ja, sehr gut. Habe ich nur an Ballsportarten gedacht?

Nina: In deiner männlichen Sozialisierung vielleicht.

Johannes: Ich habe sehr lange Fußball gespielt und auch sehr lange begeistert Fußball geschaut. Aber ich würde sagen, das ist jetzt seit ca. 10 Jahren vorbei. Das liegt auch an der Kommerzialisierung des Sports. Seitdem würde ich sagen, es ist das Rennen und Radfahren.

 

Nina: Eins habe ich noch. Berg oder Meer?

Johannes: Im Zweifel: Meer.

Nina: Im Zweifel: Berg.

William: Okay, haben wir noch einen schönen Unterschied.

 

Nina und Johannes: Cool. Vielen Dank William.

William: Es hat Spaß gemacht.