Was heißt es marxistisch zu denken? Eine Einführung

Am 30. Juni 18.00-21.00 Uhr, Braustr. 15, 04107 Leipzig

Mit Michael Franzke (ehem. Professor für Pädagogik und Management, Dozent für Kinder- und Jugendhilfe)

- >Für die Anmeldung schreibe eine kurze Mail an: christian.annecke@dielinke-leipzig.de

 

Informationen zur Veranstaltung:

Der Leitspruch der Aufklärung, den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, hat nichts an seiner Aktualität verloren. Informationen sind zur Massenware geworden, wir werden von ihnen überschwemmt, sie erreichen uns zu jeder Zeit über alle Kommunikationskanäle, in immer größerer Zahl, ob wir es wollen oder nicht. Wurden Informationen einst zu Wissen verdichtet und dienten der Bildung, so sind sie heute zu Quellen des Profits geworden. Von einer „guten Bürgerin“ und einem „guten Bürger“ wird erwartet, dass er arbeitet und konsumiert, nicht aber denkt, meint, kritisiert, sich empört oder gar protestiert. 


Bildung, so die allgemeine Annahme, ist gut für die „Ertüchtigung“ zur Erwerbsarbeit (natürlich nur für potenzielle Leistungsträger im kapitalistischen Arbeitsmodell), was soll sie sonst noch bezwecken in einer Gesellschaft, in der die Wirtschaftsbosse das Sagen haben? Politische Unmündigkeit ist seit jeher das Erziehungsziel krisengeschüttelter Gesellschaften. Dummheit regiert sich besonders gut. Dass da die Demokratie auf der Strecke bleibt, wen kümmerts, wenn der Wirtschaftsmotor nur brummt?


Wir sind bestens informiert, aber wissen wir dadurch auch mehr, bekommen wir tatsächlich Antworten auf unsere Fragen? Ein Unbehagen macht sich breit. Probleme spitzen sich in allen Lebensbereichen unserer Gesellschaft zu und wirkliche Lösungen sind nicht in Sicht. Öffentlich geführte Debatten sind unfruchtbar, Probleme werden personalisiert und damit am Kern des Themas vorbeiführen, echte Alternativen gäbe es ja ohnehin nicht und wenn es uns mal schlecht geht, geht es uns immer noch bestens im Vergleich zum „Rest der Welt“. Diskussionen arten in Streitigkeiten aus und mehren zusehends die Verstimmungen. Man geht auseinander, mehr als Feind, denn als Freund. Wir fühlen uns so nicht nur alleine gelassen mit unseren Problemen und Sorgen, wir sind es auch. Ja, wir sind auf uns selbst zurückgeworfen. Kleine Solidargemeinschaften um uns herum helfen uns weiter, geben Halt und Zuversicht, aber auch sie stoßen an ihre natürlichen Grenzen.


Wir müssen wieder lernen selbst zu denken, selbst zu urteilen, unsere Meinung selbst zu vertreten und den Mut haben, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen. Aber natürlich: sachbezogen, im Dialog und solidarisch. All das tun wir ja bereits täglich, irgendwie, der Alltag zwingt uns dazu, sicher, aber auf der Stufe des Alltagsbewusstseins. Politische Urteilsfähigkeit und politisches Handeln ist nur so gut, wie sie mit wissenschaftlichen Elementen angereichert werden, Theorie und Praxis zusammenkommen. Theorie ist ohne Praxis leer, aber Praxis ist ohne Theorie blind. Diesen Grundsatz Immanuel Kants haben Marx und Engels berücksichtigt, indem sie den Sozialismus auf eine wissenschaftliche Stufe hoben. Der Marxismus ist die einzige Weltanschauung, die den Anspruch erhebt, wissenschaftlich zu sein und die Arbeiter*innen daran Teil haben zu lassen.  Das macht die eigentliche Stärke der sozialistischen Linken aus, das ist ihr sicheres Fundament. Bröckelt dieses Fundament, erschüttert das die gesamte Bewegung.


Was heißt es nun aber wissenschaftlich zu denken und zu urteilen? Wie können wir lernen selbstreflexiv zu denken, zu urteilen und unsere Meinung zu vertreten? Und warum müssen wir dazu Mut aufbringen? Diesen Fragen wollen wir in offenen Diskussionsrunden, Alltagsreflexionen und theoretischen Impulsreferaten nachgehen. Eure Fragen haben dabei Vorrang. Spezielle Vorkenntnisse werden nicht vorausgesetzt. Ergründet Euer Interesse am Thema, formuliert Eure Fragen und teilt sie uns mit!


Mit den theoretischen Impulsvorträgen wird versucht, einige Grundsätze marxistischen Denkens in systematischer Form zu vermitteln und an Beispielen aus der Geschichte des Marxismus und aktuellen politischen Diskussionen zu erläutern. Ziel der Veranstaltung ist es, zum Nachdenken darüber anzuregen, wie wir eigentlich politisch Denken, wie wir uns unsere Urteile bilden. Dieser Aspekt kommt bei dem Zwang, schnell Stellungnahmen zu sehr verschiedenen Themenfeldern abgeben zu müssen, leider zu kurz. 


Marx, hat sein angekündigtes Vorhaben, eine Abhandlung über seine Denkmethode, die materialistische Dialektik, zu schreiben, nicht verwirklichen können. Es klafft daher im Marxismus eine erhebliche Lücke in der Darstellung der materialistisch-dialektischen Denkmethode. An dem Versuch, sie am „Kapital“ von Marx zu rekonstruieren und herauszufiltern, sind bisher nicht wenige Wissenschaftler*innen gescheitert. Wir alle stehen mit der Frage nach dem „richtigen“ Denken in Marxscher Tradition noch am Anfang. Vielleicht liegt ja die „Krise“ der Linken auch an der mangelnden Kultur ihres kollektiven Denkens? 


Die Veranstaltung wird geleitet von Michael Franzke. Er studierte in den 1980er Jahren Marxistisch-leninistische Philosophie an der Karl-Marx-Universität Leipzig und promovierte zum Austromarxisten Max Adler. Nach seinem Aufbaustudium der Sozialpädagogik war er in der Kinder- und Jugendhilfe und als Dozent tätig. Zuletzt hatte er eine Professur für „Pädagogik und Management“ inne. Zu seinen Forschungsgebieten gehören Historischer Materialismus, Linkssozialismus und Inklusionspädagogik. Speziell zum Thema bringt er seine Forschungsergebnisse zur „Dialektik der Ideologiekritik“ und zur „Dialektik der Inklusion“ ein.